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Schreibstube Lust am Biken    

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Anmeldedatum: 16.07.2016
Beiträge: 28
Wohnort: Berlin   
BeitragVerfasst am: 22.11.2016 14:50 Uhr   Titel: Lust am Biken

 Lesezeit: 10,34 Min 

   

Freitag, 18:00 Uhr:

Erschöpft von der Arbeit der ausklingenden Woche, aber beseelt von dem Gedanken an das bevorstehende Wochenende komme ich zuhause an. Meine Frau hat zusammen mit unseren 3 Kindern das Wohnmobil vorbereitet. Es ist alles gepackt, der Frischwassertank ist gefüllt, die Gasflaschen verfügen noch über hinreichenden Füllstand. Nach dem Umziehen geht es los: Ziel ist das ein stillgelegter Flugplatz der Russen im Norden Berlins, in der Schorfheide. Auf dem Anhänger stehen zwei Motorräder und während meine Frau das Wohnmobil fährt, hat meine Maschine wegen des kleinen Motorrades für unsere älteste Tochter keinen Platz mehr gefunden. Also bummle ich hinter der „Schrankwand“ des Alkovenmobils hinterher. Wegen der einsetzenden Frühjahrsdämmerung bin ich nicht böse über das große Gespann vor mir, fällt damit doch die Wahrscheinlichkeit, dass ich vom Wild überrascht werde, da das Wohnmobil die Straße vor mir freiräumt. Tatsächlich begegnen wir auch einer kleinen Rotte von Wildschweinen, die aber keine Anstalten macht die Straßenseite zu wechseln, sondern vollkommen unbeeindruckt von uns die gärtnerischen Gestaltungsaufgaben im Straßengraben fortsetzt. Wir passieren im Schritttempo.

Als wir den Flugplatz erreichen, ist es bereits dunkel, und das Biosphärenreservat ist wirklich dunkel, zumal der Mond nur eine kleine Sichel von sich preisgibt und somit nur spärliches Licht vom klaren Nachthimmel leckt. Die Einfahrt zum Flughafengelände ist durch ein großes Tor markiert. Es steht offen und dennoch wirkt die Finsternis in diesem Wald nicht wirklich einladend auf uns Großstädter. Gespenstisch huschen die Scheinwerfer immer wieder über verlassende Gebäude, die den früher hier stationierten Soldaten wohl als Kasernen gedient haben. Scheinbar unendlich zieht sich der Weg. Dann endlich sehen wir ihn. Irgendjemand hat eine Dachlatte in den Waldboden gerammt an dessen Oberkannte ein eingeschweißtes A4-Blatt aufgenagelt wurde, das uns den Weg weist: Fahrerlager und eine kaum zu erkennender Pfeil lassen uns abbiegen. Erneut umfängt uns die Finsternis. Hier gibt es keine Gebäude mehr. Steppenähnlicher Bewuchs wechselt sich mit dem Mischwald der Schorfheide ab. Nach zwei weiteren Richtungswechseln taucht das Ziel unserer heutigen Reise am Horizont auf. Ein kleines Lagerfeuer in unmittelbarer Nähe zu einem Schelter nimmt uns in Empfang. Es sind schon viele angereist heute Nachmittag; ich überschlage etwa 50 Fahrerinnen und Fahrer, die in munteren Runden und Grüppchen Erfahrungen austauschen und von der Anfahrt berichten.

Begeistert hüpfen unsere drei Kinder aus dem Wohnmobil und mischen sich unter die meist erwachsenen Bikerinnen und Biker. Wir parken noch schnell und machen alles fertig für die Nacht im Wohnmobil und genießen dann ebenfalls den Abend und die Gespräche mit einer Hopfenkaltschale. Die Kälte der Nacht und die Müdigkeit treibt uns irgendwann in das Mobil zurück und wir legen uns schlafen. Nur das eine oder andere Tier lässt dann und wann einen Ast knacken, ansonsten ist die Ruhe nahezu absolut. Für Berliner ist das sehr ungewohnt, aber irgendwann fallen uns die Augen zu.

Der nächste Morgen empfängt uns mit Bodennebel und auf den Pflanzen glänzen Wassertropfen wie kleine Perlen in der aufgehenden Morgensonne. Aufgeregt rennen unsere Kinder hin und her und suchen – viel zu früh - den Kids-Club. Sollen Sie doch heute wieder selbst Motorrad fahren. Besonders der Jüngste, für den es dieses Mal das erste Selbstfahrerlebnis werden soll ist aufgekratzt. Sabine und ich bereiten das Frühstück, während die Sonne ganz langsam den Nebel und das Tau auflöst. Langsam erwacht an allen Enden und Ecken des Fahrerlagers das Leben. Je nach Komfort und Gepäck fällt das Frühstück unterschiedlich aus dort hockt ein älterer Herr mit einem trockenen Knäckebrot bereits in Leder gekleidet im Gras, nebendran ein junges Pärchen, die turtelnd ein Müsli essen. Vor einem Concorde Mobil wird ein Buffet für eine vierköpfige Familie aufgebaut, das eher dem Frühstück eines Luxushotels gleicht als dem eines Wochenend-Camping-Ausflugs. Während bei uns das Frühstück ausklingt füllt sich das Fahrerlager zunehmend: Immer neue Maschinen rollen an uns vorbei, gefahren, auf Anhängern in Transportern. So entspinnt sich ein Treiben, das dem Tag zur Ehre gereicht: 200 Teilnehmer möchten in verschiedensten Trainings Ihre Fahrkünste aufbessern: Enduro, Trial, Sicherheitstraining, und Renntraining. Der Veranstalter hat so ziemlich alles im Programm, was man auf dem Gelände des Flughafens auf 2 motorisierten Rädern veranstalten kann. Meine Frau will heute das erste Mal am Sicherheitstraining für Fortgeschrittene besuchen. Ich selbst werde heute zusammen mit einem anderen Instruktor ein Sicherheitstraining geben, das ausschließlich dem schönen Geschlecht vorbehalten ist. 14 Teilnehmerinnen haben sich angemeldet. So ziehe ich mich dann auch um und fahre schon mal zu der Fläche, die für unser Frauentraining reserviert ist. Alles ist bestens vorbereitet, mit Pylonen und halbierten Tennisbällen sind verschiedene Parcours aufgebaut, die wir im Laufe des Tages mit den Damen erarbeiten werden. Keine Tiere oder Fremde haben etwas durcheinander gebracht und so fahre ich beruhigt zurück zum Treffpunkt an der Anmeldung und habe noch etwas Zeit das eine oder andere Motorrad in Augenschein zu nehmen. Aus den Augenwinkeln beobachte ich wie eine kleine Gruppe aus einem LKW eine ganze Reihe fabrikneuer Enfields ablädt. Um kurz nach 09:00 Uhr begrüßt der Veranstalter die Teilnehmer und stellt die Instruktoren der diversen Trainings vor. Dann geht es auf die Motorräder und wir rollen mit unseren Amazonen zu unserer Trainingsfläche. Ich bin das Schlusslicht und beobachte schon mal die Teilnehmerinnen. Sitzen Sie locker auf ihrem Gefährt, oder verkrampfen sie. Passen die gewählten Motorräder überhaupt zu den Treiberinnen. Da fällt mir eine ältere Dame auf, die sich für ein Classic-Bike entschieden hat, dass ihr viel zu groß ist. Sie liegt gestreckt über dem Tank um überhaupt an den Lenker zu kommen. Vor mir fährt ein sehr junges Mädchen, das bereits beim Aufsitzen die eigene Unsicherheit mit viel zu lautem Lachen zu überdecken versuchte und die nun bei einem kurzen Abschnitt über einen Feldweg derart verkrampft, dass man dies sogar von hinten erkennen kann. Weiter vorne reißen die Abstände auf. Die ersten beiden versuchen noch exakt den Abstand zum vorausfahrenden Instruktor beizubehalten, aber dahinter fährt eine Frau, die sich nicht traut. Geduldig warten die anderen hinter Ihr. Sobald sie wieder Beton unter den Rädern hat dreht sie dafür den Hahn auf, als wolle sie an einem Beschleunigungsrennen teilnehmen. Ich beobachte also das gleiche Bild wie bei den vergangenen Trainings – mit Männern und Frauen wohlgemerkt. Auf uns wartet also Arbeit. Kurz vor dem Erreichen des Ziels überhole ich die Gruppe, stelle mein Motorrad rasch ab und folge meinem Instinkt zu der kleinen Dame mit zu großem Motorrad. Richtig erahnt, beim Absitzen kippt ihr das Motorrad beinahe um, was ich mit beherztem Zugriff verhindere. Dankbar lächelt sie mir zu.

Wir begrüßen unser Gruppe zum Ladies-Day. Nachdem wir uns kurz vorgestellt haben, lassen wir auch alle Teilnehmerinnen berichten. Seit wann fährst Du Motorrad? Wie viel fährst Du im Jahr? Hast Du schon mal brenzlige Situationen erlebt oder sogar Unfälle? Nach und nach erfahren wir etwas über unsere Teilnehmerinnen und über Ihre Ängste. Heute frage ich auch noch warum sie genau dieses Motorrad fahren und meine Befürchtungen bewahrheiten sich: Meine kurze hat die abgelegte Maschine Ihres Mannes genommen. Eigentlich gefällt ihr das Motorrad gar nicht so gut und es sei im Vergleich zu der Fahrschulmaschine auf der sie gelernt habe auch sehr störrisch. Sie steht gerade dicht am Wasser, also mache ich zunächst schnell bei der nächsten Teilnehmerin weiter, um sie nicht endgültig in Tränen aufzulösen. Später nehme ich sie einmal unbemerkt von den anderen beiseite und frage sie, ob sie nicht besser ein anderes Motorrad leihen wolle, weil ich der Überzeugung sei, dass dieses Motorrad absolut nicht zu ihrer Körpergröße passe. Sie stimmt zu und bittet mich das in der Mittagspause auch noch mal vor Ihrem Mann zu wiederholen, der an einem der Renntrainings teilnehme. So besorgen wir Ihr eine kleine tiefergelegte Mopete aus dem Fahrschulfundus. Sie strahlt und macht ab sofort im Laufe des Tages hervorragende Fortschritte und wird immer lockerer. Auch das Küken von morgens behalte ich im Auge. Sie kämpft. Um keinen Preis will sie zugeben, dass sie noch gehörigen Respekt, um nicht zu sagen Angst vor dem Motorradfahren hat. Zunehmend blockiert sie sich selbst und kann immer weniger aufnehmen und annehmen, was wir ihr zurufen oder als Aufgabe stellen. Es beginnt riskant zu werden, immer unkontrollierter scheinen ihre Fahrmanöver. Blickführung fehlt gänzlich: Wenn sie es schafft mehr als 5 Meter vor ihr Vorderrad zu schauen, so ist das für Ihre Verhältnisse schon weit. Ich stimme mich kurz mit dem anderen Instruktor ab und ziehe sie raus. Motorrad abstellen und Spaziergang ist angesagt. Ich konfrontiere sie mit der Wahrheit und sage ihr, dass es gerade gefährlich wird für sie selbst aber auch für die anderen Teilnehmer. Plötzlich bricht es aus ihr heraus: Sie hatte gerade am Wochenende zuvor einen Unfall. Auf dem Rückweg fasse ich einen spontanen Entschluss. Ich frage sie, ob sie eine Runde mit mir zusammen als Sozia drehen möchte, um wieder locker zu werden. So steigen wir auf mein Bike und arbeiten uns zur Rennstrecke vor. Dort erläutere ich dem Instruktor kurz mein Anliegen und schon finden wir uns auf der Rennstrecke wieder. Beim Einfahren drückt sie mir fast das Frühstück wieder aus dem Leib. Ich fordere Sie auf mich loszulassen und einfach aufrecht und locker hinter mir zu sitzen. Sanft beschleunige ich und schalte durch in den dritten Gang. Nun erläutere ich ihr, dass wir den gesamten Rundkurs nur im dritten fahren werden, und zwar ohne zu bremsen. Dann lege ich den Tempomaten fest und wir gehen auf die Start-Zielgerade. Ich nehme die Hände vom Lenker und so gleiten wir freihändig dahin. Nun bekommt sie die Aufgabe sich mit mir in einer Linie zu halten. Vor der ersten Kurve klammert sie sich doch wieder bei mir fest und lehnt sich genau verkehrt herum ins Kurvenäußere. Anhalten besprechen. Auf ein Neues. Zumindest greift sie nicht mehr vor jeder Kurve nach mir und so ganz langsam lehnt sie sich – zunächst zaghaft, dann immer bereitwilliger mit mir in die Kurven. Die sechste Runde fahren wir komplett freihändig, ohne zu bremsen im dritten einmal komplett durch. Wir verlassen die Strecke halten an besprechen alles bei einem Friedenspfeifchen aus der Schachtel und sie ist stolz, als wäre sie selbst gefahren. Ich erkläre ihr, das sie den Lenker nur zum Impuls geben benötigt und das es sich dabei nicht um eine Reckstange handelt. Auch Sie macht im Laufe des Tages Fortschritte, auch wenn ich sie immer wieder an das Lockerbleiben erinnern muss. Abends kommt sie mit Ihrem Freund noch bei mir am Wohnmobil vorbei und drückt mir in seinem und im Beisein meiner Frau einen dicken Schmatzer auf. Sie habe an diesem Tag das erste mal so richtig Spaß am Motorradfahren entwickeln können. Ich erröte und freue mich mit ihr. Der Rest des Tages verläuft prima und ich bin dankbar, denn morgen wollen wir das Erlernte bei einer gemeinsamen Ausfahrt ins Umland anwenden. Alle Amazonen haben Freude und jene, die über Nacht im Fahrerlager bleiben, belagern meinen Kollegen und mich noch bis in die Nacht, um über das eine oder andere Zweiradtraining zu plaudern. Ich muss recht Acht geben, dass meine Kinder nicht zu kurz kommen, schließlich wollen sie mir auch von Ihrem Tag berichten.

Die älteste (12 Jahre) erzählt, dass sie freihändig auf Mamas alter GSX gefahren sei und kniend auf der Sitzbank, sowie im Damensitz. Die mittlere (9 Jahre) berichtet mehr vom Quad fahren und dass der Instruktor mit Ihr auf dem Quad auf nur zwei Rädern gaaaanz lange geradesaus gefahren sei. Der jüngste (5 Jahre) ist bereits erschöpft am Lagerfeuer eingeschlafen. Aber das entspannte Lächeln in seinem Gesicht verrät mir, dass auch er einen glücklichen tag gehabt haben muss. Die großen Schwestern erzählen stolz, dass Ihr Bruder den gleichaltrigen Angeber aus dem großen Concorde-Wohnmobil immer wieder mit der PW40 überholt habe. Der Instruktor des Kids-Clubs kommt später noch vorbei und meinte ich solle mich schon mal darauf einstellen, dass ich die nächsten Jahre an Motocross- oder Enduro-Strecken verbringen würde und der habe echt Talent…

Der nächste Morgen ist weniger freundlich. Das Wetter hält einen tiefverhangenen und unheilvoll aussehenden Himmel bereit. „Das gibt heute noch was!“, oder: „Da kommt bestimmt noch was runter!“, schallt es aller Ortens. Nun ja, Bange machen gilt nicht!
Pünktlich zur Abfahrt um 09:00 Uhr fallen die ersten Tropfen. Zwei Amazonen sind wegen des Wetters erst gar nicht gekommen. Aber wir fahren nun mit den 12 verbliebenen Teilnehmern ins Umland und anders als erwartet klart es immer mehr auf. Bei der ersten Rast an einer kleinen Badestelle springen zwei mutige Damen sogar ins Wasser. Der Rest plaudert und freut sich, wie gut man doch nun das eine oder andere hinbekommt, was doch bis gestern noch so schwer von der Hand ging. Ich hänge gedankenverloren in der Nähe ab und ertappe mich bei dem Gedanken, dass es mir nach meinen eigenen Trainings auch immer so geht.

Die Mittagspause wollen wir wieder mit den übrigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern im Fahrerlager einnehmen. Auf dem Rückweg bauen wir noch auf dem Gelände des Flugplatzes einen kleinen Umweg über einen Waldweg ein. Dieses Mal fahre ich vorne. Wie aus dem nichts fliegt plötzlich eine kleine PW 40 quer über den Weg. Links des Weges hatte sie auf einer kleinen Rampe abgehoben und zerlegt es den Heißsporn rechts des Weges in einem kleinen Busch. Ich lächle eine Sekunde in mich hinein, um im nächsten Augenblick zu realisieren, dass ich den Helm kenne und somit vermutlich auch den Krieger darunter. Im Spiegel nehme ich noch wahr, wie er sich aufrappelt, das Bike etwas verstohlen aufrichtet und dann seine Fahrt fortsetzt.

Auch der Nachmittag bringt uns zurück auf das Geläuf in der Schorfheide und so kommen wir am Sonntagabend wohlbehalten wieder im Fahrerlager an. Immerhin 130 KM haben wir am Nachmittag noch geschafft und sind um 17:00 Uhr zur Verabschiedung zurück. Gemeinsam mit meiner Frau und meinen Kindern verlade ich die Motorräder helfe noch die Parcours wieder abzubauen und als meine Familie um 18:30 Uhr ins Wohnmobil steigt fängt es dann doch an zu regnen. Auf den 2 Stunden nach Hause werde ich richtig nass gemacht.

Glücklich fallen wir abends ins Bett, mit tollen Erlebnissen aufgefrischt für die kommende Schul- und Arbeitswoche. Und das Beste: das mir von Gott zugemutete Weib hat sich für das kommende Wochenende für Ihr erstes Renntraining eingetragen.

Anm.:
Alle Kinder sind heute erwachsen und haben bereits die Fahrerlaubnis oder sind gerade dabei. Alle fahren gerne Motorrad.

Die kleine mit dem großen Motorrad hat sich nach dem Training ein passendes Motorrad gekauft.

Und die ängstliche junge Frau von damals fährt seit zwei Jahren nicht mehr Motorrad – Babypause. Davor hat sie aber sogar noch an einigen Endurotrainings teilgenommen und fährt außerordentlich sicher.

Meine Frau und ich verbringen sehr viel unserer freien Zeit auf den Rädern, die die Welt erreichen Very Happy
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