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Schreibstube Die wuchernde Eiche    

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Anmeldedatum: 07.01.2007
Beiträge: 5605
Wohnort: Ofenstadt Velten   
BeitragVerfasst am: 07.01.2017 01:32 Uhr   Titel:

 Lesezeit: 13,98 Min 

   

Die wuchernde Eiche

Will man eine Meute von Kilometer fressenden Tourenfahrern anständig bespaßen, dann gilt es, immer wieder neue, interessante und des „Sehens würdige“ Örtlichkeiten zu finden.

So führte mich ein Streifzug durch das Internet eher zufällig auf eine Seite von Mountain-Bikern, die von einem Naturdenkmal der ganz besonderen Art berichteten: mitten im Havelland in der Nähe des Ortes Haage, so wurde erzählt, gäbe es ein glanzvolles Naturschauspiel. Denn dort stünde ein Baum, der eigentlich zwei Bäume in einem sein solle. Aber im Gegensatz zu anderen wuchernden Gewächsen, die einfach nur mehrere Stämme in einer Wurzel besaßen, würde es sich bei diesem um einen sehr untypischen Zwilling handeln. Es wäre ein wunderbarer Anblick, wie da „eine Kiefer aus einer Eiche“ geradezu entspringen würde. Also ein Baum, der einen anderen vollständig umwachsen hätte und beide in völlig natürlicher Symbiose miteinander und voneinander leben würden. Ein einmaliges Naturschauspiel, das man sich nicht entgehen lassen dürfe. Und um dem Ganzen auch einen seriösen Anstrich zu geben, wurde darauf hingewiesen, dass es sich um ein offizielles Naturdenkmal handeln würde.

Der Nachteil bei solchen Schilderungen ist, dass man nicht genau weiß, wo ein solches Objekt zu finden ist. Die reine Ortsangabe „bei Haage“ genügt zwar als grobe Orientierung. Aber wenn man mit einem Pulk von Motorrädern unterwegs ist, ist es nicht empfehlenswert, erst vor Ort mit Hilfe vieler Kehrtwenden und unter Begleitung der von kraftstrotzenden Motoren verursachten Geräuschkulisse nach dem Ziel zu suchen und dadurch die Anwohner zu stören. Also war es erforderlich die geplante Strecke abzufahren und den genauen Zielort ausfindig zu machen, um ihn direkt ansteuern zu können. So machte ich mich eines Tages nach der Arbeit auf den Weg.

Es ging in das wunderschöne Havelland. Der westlich von Berlin gelegenen Landschaft widmete der Dichter Theodor Fontane in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ einst einen eigenen Band. Nicht zuletzt durch dessen Gedicht über den Herrn von Ribbeck auf Ribbeck und dessen Birnbaum, das bis heute im Schulunterricht behandelt wird, erlangte die Gegend große Bekanntheit. An diesem späten Nachmittag lag das Terrain in mildem Sonnenlicht. Bis zum Mittag hatte es noch geregnet. Und auch, wenn die Straßen schon einigermaßen trocken waren, hatte die Sonne an diesem Frühlingstag noch nicht die genügende Kraft, überall die restlichen Wasserpfützen zu verdampfen.

Etwa zehn Kilometer hinter dem schon erwähnten Ort Ribbeck erreichte ich mein Ziel. Das Knattern meines Motors riss das freundlich verschlafen daliegende Dorf namens Haage förmlich aus seinem Dämmerzustand. Wie es nur allzu häufig in der Mark zu beobachten ist, litt auch dieses Örtchen unter dem Schwund seiner Bewohner, die es immer mehr in die größeren Städte zog, weil es dort eher Lohn und Brot versprach. Viele Fenster der alten Häuser waren dunkel und nicht mehr mit Gardinen verhangen und auf den Wegen waren zunächst keine Menschen zu sehen. So kurvte ich auf meinem Motorrad kreuz und quer in alle vier Himmelrichtungen durch den Ort, in der Hoffnung, auf ein Schild oder einen sonstigen Hinweis auf das Naturdenkmal zu stoßen oder gar auf das Objekt selbst, das vielleicht mitten im Ort anzutreffen wäre. Dies wäre schließlich die beste aller Lösungen, denn der Motorradfahrer ist kein sehr glücklicher Fußgänger. Die schweren Klamotten und die eng anliegenden Stiefel erschweren die Beweglichkeit aller Körperteile sehr und ein allzu langer Fußmarsch ist nicht nur kräfteraubend sondern wird außerdem umgehend mit Schwielen und Blasen geahndet.

Die Hoffnung erfüllte sich nicht. Nirgends war auch das geringste Anzeichen auf überhaupt irgendeine Sehenswürdigkeit zu entdecken. Also musste jetzt doch ein Ortsansässiger gefunden werden, denn einfach so die Flinte ins Korn zu werfen, kam gar nicht in Frage.

Als ich weiter so dahin durch den Ort bollerte, fiel mein suchender Blick irgendwann auf eine ältere Dame. Als ich mich ihr von hinten näherte, bemerkte ich ihren Rollator, auf dem sie gestützt ihres Weges zog. Vor meinem geistigen Auge spielten sich ganz spontan dramatische Szenen ab, wenn ich sie mit meinem großen und lauten Motorrad erschrecken würde, wenn ich plötzlich neben ihr auftauchen würde und sie sich panikartig umdrehen könnte, den Kontakt zu ihrer Gehhilfe verlieren würde, aus dem Gleichgewicht geraten und der Länge nach auf den Weg hinschlagen würde. So besann ich mich eines Besseren und vermied es, die alte Dame hinterrücks anzusprechen und fuhr langsam weiter die Straße hinab.

An einem Ortsausgang, hinter dem gleich der dichte Wald begann, sah ich, dass ein Plattenweg direkt in das Dickicht führen würde. Diese Plattenwege, bei denen für die zwei Spuren eines Autos oder eines Traktors jeweils ein fester Untergrund mit Hilfe einzeln verlegter Betonplatten hergestellt wurde, ist im Brandenburgischen häufig anzutreffen, weil sie eine günstige Alternative zum gewöhnlichen Straßenbau sind. Für die zweirädrige Fraktion versprechen diese Pfade zumeist eine tolle Gelegenheit, abseits von den vielbefahrenen Land- und Bundesstraßen die Mark von ihren schönsten Seiten kennen zu lernen. Allerdings braucht es dafür aber auch ein gerüttelt Maß an Fahrvermögen, um bei angemessenem Tempo übers Land zu fahren und nicht ins lockere Erdreich abzurutschen. Im heutigen Fall allerdings war der Plattenweg zunächst einmal ein Hoffnungsschimmer, dem gesuchten Ziel deutlich näher zu kommen. Also schlug ich die Richtung zu ihm ein.

Nach etwa hundert Metern und schon außer Sichtweite des Ortes traf ich auf ein junges Mädchen. Im Gegensatz zu der vorherigen alten Dame war ich mir sicher, bei dem Teenager nicht gleich einen plötzlichen Herztod auszulösen, wenn ich mit meinem Motorrad unvermittelt neben ihr auftauchen würde. Also hielt ich auf sie zu. Neben ihr angekommen, erschrak aber auch sie sehr heftig und drehte sich hektisch zu mir um. Ihre Drehbewegung sah irgendwie merkwürdig aus. Sie hielt ihre Hände sehr tief, so dass das ganze aussah, als ob sie eine Pirouette drehen würde. Als sie mir im Angesicht gegenüberstand, barg sie ihre Hände hinter dem Rücken versteckt. Was war es wohl, dass sie geheim halten wollte? Zunächst kümmerte ich mich nicht weiter darum und versuchte, meine etwas komplizierte Frage nach dem Baum, der eigentlich zwei in einem war und ein richtiges Naturdenkmal darstellen würde, so einfach wie nur möglich zu formulieren. Während sie meinen Wortschwall über sich ergehen ließ, erkannte sie wohl, dass ich in keiner offiziellen Mission unterwegs war und insbesondere kein Förster oder eine ähnlich erschreckende Amtsperson war. Darauf fasste sie nun den Mut und lüftete das Geheimnis. Sie zog ihre Arme wieder hervor und siehe da, das Teenie-Girl nahm einen kräftigen Zug von ihrer Zigarette und qualmt fröhlich mitten im Wald weiter. Lachend gab sie mir außerdem zu verstehen, dass sie sowieso nicht von hier sei und mir daher nicht weiterhelfen könne. Erst später wurde mir der Grund für ihr Erschrecken klar. Nicht nur, dass das Mädel mitten im Wald ihren Glimmstängel entzündet hatte, gab es erst vor kurzem eine Änderung des Jugendschutzgesetzes, wonach es Jugendlichen unter 18 Jahren generell verboten war, in der Öffentlichkeit zu rauchen. Mein pädagogischer Beitrag heute bestand also darin, dass ich ihr zumindest für kurze Zeit ein schlechtes Gewissen machen konnte.

Meinem Ziel war ich indes kein Stück näher gekommen. Also drehte ich wieder um und fuhr erneut in den Ort hinein, in der Hoffnung, einen anderen Auskunftgeber zu finden.

Endlich entdeckte ich einen richtig lebendigen Menschen, nicht zu jung, nicht zu alt, der sich auskennen sollte. Denn es handelte sich um einen vielleicht dreißigjährigen Mann, der sich als Auslieferungsfahrer entpuppte. Die Beschriftung auf der Plane seines Transporters verriet, dass er in einem Nachbarort wohnte. Also ein Top-Kandidat! Ich steuerte ihn an, stellte meinen Motor ab, lüftete meinen Helm, stieg von der Maschine und begann meine Frage nach den zwei Bäumen, die eigentlich nur einer waren … und so weiter. Er hörte sich mein Anliegen ruhig an, um meine aufkeimende Hoffnung aufs Neue zu Boden zu werden. Denn wo ich das Objekt meiner Begierde finden könnte, wusste auch er nicht. Obwohl er beschwor, in seiner Kindheit dieses phänomenalen Anblicks einmal wahrhaftig geworden zu sein, konnte er sich nicht erinnern wo die Dinger denn zu finden wären. Aber ganz sicher sei es mitten im tiefen Wald gewesen, sehr, sehr weit weg vom Ort. Bei dieser Bemerkung kamen mir dann doch die ersten Zweifel, ob das ganze denn überhaupt noch als Tourenziel dienen könne. Der Kurier führte noch weiter aus, dass einer der Anwohner es genauer wissen müsste. Auf diese Worte hin wandte er sich von mir ab und ohne jede Vorwarnung rannte er plötzlich los zu einem nahe gelegenen Haus und begann mit hektischen Bewegungen an der Türe zum Grundstück Sturm zu klingeln. Als nach seinen Bemühungen niemand öffnete, kam er enttäuscht wieder und riet mir, es in dem benachbarten Wirtshaus zu versuchen.

Das Wirtshaus war mir beim Durchstreifen des Dorfes auch schon aufgefallen. Nur ging ich davon aus, dass es das Schicksal vieler gastronomischer Betriebe auf dem Lande teilen würde und geschlossen sei, denn obwohl es langsam schon dämmerte, waren sämtliche Fenster dunkel und auch die Laternen auf der etwas erhöhten Terrasse ausgeschaltet. Jedenfalls tat ich wie mir geheißen und erklomm die wenigen Treppenstufen hinauf auf die Terrasse, wo sich auch die Eingangstür zum Restaurant befand. Entgegen meiner Erwartung war die schwere, aus dunklem Holz gearbeitete Pforte unverschlossen. Ich betrat das Innere und konnte am Ende des Gastraumes hinter dem Tresen den Wirt ausmachen, der mit dem Spülen der Gläser beschäftigt war.

Ich hielt auf ihn zu und als ich so unbekümmert durch den Raum tapperte, fiel mein Blick auf die beigefarbenen Fliesen und ich bemerkte, dass sie noch feucht glänzten. Sie mussten also gerade frisch gewischt worden sein. Eine nicht gerade empfehlenswerte Kombination, wenn man Stiefel an den Füßen trug, die vom halb nassen Asphalt noch ziemlich schmutzig waren. Und richtig! Als ich mich schuldbewusst ein Stück weiter nach hinten umdrehte, konnte ich eine sehr genaue Spur ausmachen, die ich gerade hinter mir herzog. Meine schwarzen Stiefelabdrücke prangten nur so auf dem hellen Untergrund. Meinem beschämten Blick schloss sich der Wirt an. Seine entgeisterten großen Augen hafteten vorwurfsvoll an mir – aber immerhin blieb er freundlich und erwiderte meinen Gruß. Ich setzte aufs Neue mit meinen Erklärungsversuchen an und diesmal schien ich einen Schritt weiter zu kommen. Denn nachdem er sich mein Anliegen angehört hatte, bestätigte er, diese Bäume schon einmal vor vielen Jahren gesehen zu haben und konnte sich ebenfalls erinnern, dass das mitten im Wald gewesen sei und auch nicht so ohne Weiteres zu finden wäre. Aber ganz Gastwirt wollte er mich nicht im Ungewissen lassen und schlug mir vor, mir den Weg zu zeigen. So traten wir beide auf die Terrasse hinaus. Dort begann er mit richtungsweisenden Gesten. Seine Arme flogen nur so um ihn herum und er drehte sich mehr als einmal um die eigene Achse bei dem Versuch, mir die richtige Orientierung zu geben. Doch als es dann zum fünften oder sechsten Mal hieß, dass ich an dieser oder jenen Stelle nach links oder rechts abbiegen müsse und diesen oder jenen Weg einschlagen und hüben oder drüben einen solchen oder anderen markanten Punkt passieren solle, strich ich innerlich die Segel und war überzeugt davon, dass sich die Welt gegen mich verschworen hatte. Aus dieser Tour würde wohl nichts mehr werden und ich wollte alle Hoffnung begraben. Er meinte noch, dass ich ja auch den Pächter fragen könne. Dies sei schließlich „einer von den Bredows“, also einem Angehörigen eines der ältesten Adelsgeschlechter aus der Gegend.

Gerade bei dieser Bemerkung wurde die ruhige dörfliche Idylle jäh unterbrochen. Vom anderen Ende der Straße tönte es plötzlich laut zu uns herüber: „Mensch den Weg findet der doch nie. Fahr’ doch mal mit ihm ’rüber!“

Wie sich herausstellte, hatte der Auslieferungsfahrer doch noch jemanden erreicht und die Anwohner auf mein ganz besonderes Problem aufmerksam gemacht. So kam uns jetzt fröhlich winkend die Frau des Nachbarn entgegen, bei dem das Sturmklingeln zuvor erfolglos verstrichen war. Offenbar waren sie inzwischen nach Hause gekommen und wollten wir bei meiner Suche behilflich sein. Zumindest die Dame des Hauses. Sie lief weiter auf uns zu doch als sie merkte, dass der Wirt keine Anstalten machte, ihrem Vorschlag Folge zu leisten – er konnte ja auch schlecht das Restaurant alleine lassen – drehte sich die Dame zu ihrem Gatten um und machte dem gelangweilt am Gartenzaun lehnenden Mann klar, dass sie ihren Vorschlag ernst meinte. Sie bot ihm lauthals sogar an, dass er ihren Wagen nehmen könne.

Mir war die Sache inzwischen ziemlich peinlich, dass das halbe Dorf in Aufruhr geraten war. Aber andererseits fand ich die Idee trotzdem nicht schlecht. Also ging ich hin zu dem weißhaarigen Herrn und nach kurzer Beratschlagung schloss ich mein Motorrad ab, klemmte mir den Helm unter den Arm und nachdem er sich die Autoschlüssel aus dem Haus geholt hatte, trafen wir uns bei dem Wagen seiner Gattin. Der kleine weiße Opel Kombi strahlte frisch gewaschen aus allen Poren. Wir stiegen ein und ich verstaute den Helm zwischen meinen Beinen, bevor ich mich in der Enge des Wagenfonds anschnallen konnte. Mit sanftem Schnurren startete der Motor und so konnte die Reise ins Unbekannte losgehen.

Ich nahm mir fest vor, mir den zurück gelegten Weg ganz genau einzuprägen und kramte alle Kniffe der Mnemotechnik aus dem hintersten Stübchen meiner grauen Zellen. Zunächst ging die Fahrt über den besagten Plattenweg, auf dem sich inzwischen auch kein rauchender Teenie mehr befand. Bald darauf bogen wir auf eine breitere Landstraße ein und nach wenigen hundert Metern drehten wir ohne weitere Vorwarnung des Chauffeurs irgendwo unvermittelt im rechten Winkel ins Gelände ab. Sofort umschloss uns die Dunkelheit des dichten Waldes. Während zuvor noch die abendliche Dämmerung auf freiem Feld für ausreichendes Tageslicht gesorgt hatte, leisteten die Scheinwerfer des Autos jetzt ganze Arbeit und strahlten zwei sich klar abzeichnende Lichtkegel in die Finsternis. Und ein Blick genügte, dass man keinen Gedanken mehr an einen festen Weg verschwenden brauchte. Für die geplante Motorradtour bedeutete dies ein vorzeitiges Aus. Nicht aber für das jetzige kleine Abenteuer, denn wir waren noch lange, lange nicht am Ziel.

Es ging einige hundert Meter auf rutschigen Pfaden immer tiefer in das Dickicht. Weil es in den letzten Tagen oft geregnet hatte und die Sonne es sehr schwer hatte, in den Wald hinein zu scheinen, waren die Wege nicht nur feucht. Nein, sie waren ein reiner Sumpf! Das Erdreich war völlig aufgewühlt. Überall hatten sich mehrere Meter lange und breite richtig tiefe Pfützen gebildet und jedes Mal, wenn mein Kutscher eine solche ansteuerte, sah ich mich schon allein und verlassen im Wald stehen und einen festsitzenden Wagen ausbuddeln.

Aber denkste! Sehr gekonnt umkurvte der ältere Herr die tiefen Wasserlachen und die modrigen Wegesmitten. Elegant steuerte er die bemoosten Hänge zu den Bäumen an und nutzte oben angekommen den Schwung von einer solchen Schräge herab kommend aus, um mit dem Wagenheck durch eine noch so tiefe Wassermasse zu rutschen und schaffte es jedes Mal, unter Erzeugung einer riesigen Bugwelle sicher am anderen Ufer anzukommen. Dieses andere Ufer bestand natürlich auch wieder aus weichem Morast aber immerhin griffig genug, um darauf auch wieder ein Stück bergauf fahren zu können und zum nächsten Surfing ansetzen zu können. Nur so zur Erinnerung: es handelte sich bei dem Fahrzeug um einen kleinen, frisch gewaschenen, weißen Opel Kombi mit Frontantrieb – und nicht etwa um ein Allrad-Geländefahrzeug!

So rutschten wir weiter durch die Gegend. Währenddessen sich meine Sitzposition nicht veränderte. Stets mit dem Schlimmsten rechnend, versuchte ich meinen Helm zwischen den Füßen zu fixieren und mich selbst am Haltegriff im Dachhimmel.

Zwischendurch gab es ein echtes Schauspiel. Als wir gerade wieder durch eine der vielen Untiefen schlitterten, brach etwa 20 Meter vor uns ein ganzes Rudel riesiger Hirsche aus dem Unterholz und kreuzte unseren Weg. Mein Fahrer stoppte das Fahrzeug, um die Tiere nicht unnötig aufzuscheuchen. Und für einen Augenblick vergaß ich meine Angst, in diesem Morast auf nimmer Wiedersehen zu versinken und beobachtete das Rotwild. Es war beeindruckend. Der Tross nahm gar kein Ende. Es mussten so etwa 30 Tiere gewesen sein und viele Männchen hatten ein prächtiges Geweih. Sie liefen dicht aneinander gedrängt von der einen Seite auf die andere und ebenso plötzlich, wie sie erschienen waren, verschwanden sie auch wieder spurlos im Unterholz.

Als das Intermezzo beendet war, setzten wir unsere Reise fort. Mehrfach bogen wir nach links oder rechts ab und es gab schon längst keine Anhaltspunkte mehr, die mich diesen Weg hätten wiederfinden lassen, ganz zu schweigen davon, überhaupt wieder aus diesem düsteren Wald hinauszufinden. Ich hatte also hoffnungslos die Orientierung verloren und so blieb mir keine andere Wahl, als meinem Tourguide blind zu vertrauen.

Irgendwann hielt der gute Mann unversehens an und sagte: „Da ist es.“ Ich blickte mich fragend um und sah den Baum vor lauter Wald nicht. „Na da vorne.“, sagte er und zeigte mir das „Naturdenkmal“. Wir stiegen aus, wobei mich erneut die Furcht erfasste, dass dieser Stopp den Wagen versinken lassen könnte, und wir betrachteten uns das „Wunder“ genauer. Irgendwie hat mich der Anblick dann doch enttäuscht. Es war eigentlich nichts weiter, als dass die beiden Bäume nur sehr eng beieinander standen. Ok, die Wurzeln reichten gemeinsam in das Erdreich hinein. Aber ansonsten wuchsen beide Bäume recht hoch und dabei sich ein wenig umschlingend aber sich kaum berührend. Das war’s. Weit und breit nichts zu sehen von einer „wuchernden Eiche“ oder einer daraus „springenden Kiefer“. Nichts. Nada. Niente. Ein glatter Schuss in den Ofen.

Der nette Herr schien meine Entmutigung zu spüren und so versprach er mir noch ein weiteres Naturdenkmal, das auch hier in der Nähe sei, nämlich die alte „Förster-Eiche“. Wieder ging es pfützen-surfend über hügelige, sandige, matschige Waldwege. Aber auch das nächste Objekt war leider nichts anderes als nur ein besonders gerade gewachsener, sehr großer Baum. Aber trotz seines Alters von ca. 220 Jahren, seiner Größe von etwa 30 Metern und seines Umfangs von ungefähr 5,20 Metern war es eben nur ein Baum inmitten des Waldes. Und so war er nicht sehr auffällig – im Gegensatz zum Beispiel zur „Schwedenlinde“, einer ebenfalls gigantischen Vertreterin ihrer Art im Örtchen Brielow nahe der Stadt Brandenburg an der Havel. Aber immerhin: bei diesem Wunderwerk hier handelte es sich tatsächlich auch um ein offizielles Naturdenkmal des Landes Brandenburg. Unter der Nummer 71/0101B ist die Förster-Eiche in der Gemeinde Friesack und der Gemarkung Haage verzeichnet.

Für mich ein wenig ernüchtert traten wir die Heimfahrt an. Doch eine Sache wollte ich noch wissen und so nahm ich die Gelegenheit wahr, den Mann danach zu fragen, wo er es gelernt habe, so elegant über diese nass-sumpfigen Straßen zu gleiten. Es stellte sich heraus, dass er jetzt zwar Ruheständler sei aber zuvor jahrzehntelang als Waldarbeiter in genau dieser Gegend, also in Luftlinie im Radius von 50 km um seinen Wohnort herum gearbeitet habe. Da musste es halt immer schnell gehen, wenn man zum Essen nach Hause wollte. Nun wurde mir einiges klar und es war ganz merkwürdig aber von sofort an lehnte ich mich gemütlich und ganz entspannt in meinem Sitz zurück und war mir auf einmal sicher, auch wieder heile zu Hause anzukommen. So genoss ich das letzte Stück unseres gemeinsamen Weges und war dann doch froh, als wir wieder festen Asphalt unter den Pneus hatten.

Nach knapp einer halben Stunde war der Ausflug vorbei. Inzwischen dunkelte es sehr. Als wir dem Wagen entstiegen waren, war das Malheur nicht zu übersehen: der frisch gewaschene und weiß blitzende Wagen war jetzt bis zu den Fenstern übersäht mit einer dicken Schlammschicht, die bereits angetrocknet war und so eine fest sitzende Kruste gebildet hatte. ‚Na ja‘, dachte ich so bei mir. ‚Er hat jetzt gut lachen – immerhin war es ihr Auto.‘

Ich bedankte mich bei meinem Reiseführer und als wir uns verabschiedeten, versprach ich, irgendwann einmal mit einer Motorradgruppe vorbeizukommen, um in dem örtlichen Gasthof wenigstens mal einen kleinen Umsatzschub auszulösen, wenn es schon mit der Fahrt zur „Wuchernden Eiche“ nichts wird.
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